Das Setting war für uns besonders: Eine gehörlose Beobachterin, ein gehörloser Kandidat und eine hörende Kandidatin mit Gehörbeeinträchtigung nahmen teil, begleitet von einem professionellen Team von hörenden Assessor:innen, Rollenspielenden und Gebärdensprachdolmetscher:innen. Gemeinsam mit dem Schweizerischen Gehörlosenbund (SGB-FFS) haben wir das Assessment sorgfältig vorbereitet. Denn: Für viele gehörlose Menschen stellt die Gebärdensprache die Muttersprache dar – die Schriftsprache eine Fremdsprache, die sie erst erlernen müssen – ähnlich wie hörende Personen eine Fremdsprache. Wir antizipierten deshalb mehr Vorbereitungszeit, passten die Zeitfenster für die Aufgabenbearbeitung an und planten Zeit für die Übersetzung ein. Und vor allem: ein offener, gemeinsamer Dialog im Vorfeld.
Und dann? Hat es funktioniert? «Ja. Sogar besser, als wir es zu hoffen gewagt hatten. Die Assessment-Methode hat sich bewährt – mit kleinen Anpassungen ohne Qualitätsverlust. Im Gegenteil: Mimik, Gestik und Präsenz machten Führungsqualitäten sichtbar, auch im Übersetzungsprozess. Die Persönlichkeit war spürbar und die Kompetenzen greifbar. Wir waren beeindruckt, wie schnell und intuitiv die Gespräche verliefen – und wie wenig zusätzliche Zeit am Ende tatsächlich nötig war», sagt die Lead-Assessorin Mirjam Fuchs. Zudem war die gute Zusammenarbeit mit den Gebärdensprachdolmetscher:innen im Assessment – wie auch im Alltag – ein Erfolgsfaktor. «Sie übersetzten eindrucksvoll präzise und flüssig. Auch spannend: Es gibt nicht die eine Gebärdensprache, sondern viele Dialekte – ein Detail, das uns für die Zukunft noch sensibler für das Thema macht», erzählt Mirjam Fuchs weiter.
Wie erlebte der Schweizerische Gehörlosenbund SGB-FSS die Zusammenarbeit mit mpw?
Gehörlose Personen mit Erfahrung in verantwortungsvollen Positionen bringen aufgrund ihrer Biografie und ihrer spezifischen Kompetenzen eine besondere Eignung für Führungspositionen mit. Gleichzeitig ist ihr Weg in solche Positionen oft mit zusätzlichen Hürden verbunden – insbesondere sprachlichen Barrieren und einem erschwerten Zugang zum formellen Bildungssystem. «Der Bildungs- und Lebensweg gehörloser Personen unterscheidet sich oft grundlegend von dem hörender Führungspersönlichkeiten. Deshalb ist es wichtig, dass dies bei den im Assessment angewendeten Massstäben berücksichtigt wird», sagt Susanne Berchtold, Verantwortliche People & Culture beim Schweizerischen Gehörlosenbund.
Ein Assessmentverfahren für gehörlose Bewerber:innen auf Führungspositionen sollte diesen Unterschieden Rechnung tragen. Dabei stellen sich unter anderem folgende Fragen: Sind die üblichen Interviewfragen an die Lebensrealität gehörloser Personen angepasst? Entsprechen die Rollenspiele der Realität gehörloser Führungskräfte? Welche Faktoren müssen möglicherweise anders gewichtet werden – zum Beispiel Resilienz oder interkulturelle Kompetenz?
Ein weiterer zentraler Aspekt ist die Durchführung des Assessments selbst. Ideal wäre ein Verfahren, das von gehörlosen Assessor:innen begleitet wird. Dies schafft nicht nur eine authentischere Kommunikation (ohne die Vermittlung durch Dolmetschende), sondern auch ein gleichberechtigts Setting, in dem sich die Kandidat:innen direkter wahrgenommen fühlen.
Positives Beispiel aus der Praxis: «Das beschriebene Assessment verlief sehr erfolgreich – nicht zuletzt dank der guten Vorbereitung und der sensiblen Gestaltung durch den Arbeitgeber in Zusammenarbeit mit mpw. Die Assessor:innen waren auf den besonderen Kontext gut eingestellt. Sowohl der physische als auch der soziale Rahmen sowie die Qualität der Gebärdensprachdolmetscher:innen waren stimmig. Viele Faktoren haben dazu beigetragen, dass das Verfahren insgesamt gelungen war – auch im Hinblick auf den anschliessenden Assessment-Bericht», stellt Ruedi Graf, Co-Geschäftsleitung SGB-FSS, fest.
Unser Fazit: Wer offen ist, kann viel gewinnen. Gute Vorbereitung, gegenseitiges Vertrauen und der Wille, sich auf Neues einzulassen – das sind die entscheidenden Faktoren. Wir freuen uns sehr, dass die Co-Geschäftsleitung erfolgreich besetzt wurde und wir einen Beitrag dazu leisten durften. Wir nehmen viele wertvolle Erkenntnisse und Erfahrungen mit.
Wie die ersten 50 Tage im neuen Tandem verlaufen sind, zeigt dieses Video: https://www.sgb-fss.ch/de/aktuell/neue-co-geschaeftsleitung-stellt-sich-vor/